Drei Phasen in der Yogaübung und die Bedeutung der statischen Phase

In Sanskrit, der Gelehrtensprache der altindischen Hochkultur, heißen die Yogastellungen „āsana“. Āsana bedeutet übersetzt „Sitz“ und ist der Ausdruck für die Haltung oder Position, die der Yogaübende mit seinem Körper einnimmt und für eine bestimmte Zeitdauer ruhig bewahrt. Der Begriff der Haltung oder Position ist dabei nach der älteren, früheren Bedeutung erweitert zu sehen, denn beispielsweise hatte gemäß der Überlieferung Shiva 8.400.000 āsana gelehrt, von welchen jede einzelne einer Lebensform entspricht. Jeder „Sitz“, jede Stellung, repräsentiert das Individuum in einem bestimmten Verhältnis zum Kosmos. In früherer Form bedeutete die āsana eine Grundhaltung, die mit der Hinwendung zum Kosmos oder einer höheren Weit verbunden ist.

 

Nach der Lehre des Patanjali, der 800 v. Chr. einen 8-stufigen Aufbau des Yogaweges mit dem Namen Raja-Yoga (dem „königlichen Pfad“) gelehrt hat, bildet āsana die 3. Stufe in der Reihe von acht Disziplinen, yama, niyama, āsana, pranayama, pratyahara, dharana, dhyana, samadhi.

 

Im „Neuen Yogawillen“ ist das Üben der āsana ein empfindungsvolles, natürliches Studium der verschiedenen körperlichen, seelischen und geistigen Zusammenhänge. Das Seelenleben wird über die Seelenkräfte Denken, Fühlen und Wollen zu einer differenzierten Ausprägung geführt und die āsana nimmt dabei die Rolle einer künstlerischen, ästhetischen Ausdrucksform ein. Der rhythmische Übungsaufbau und der gestaltende oder gestalterische Umgang mit den Übungen führen zu einer innerleiblichen Ordnung und fördern die Ruhe des Seelenlebens. (Vgl. „Die Seelendimension des Yoga“, Heinz Grill)

 

Da sich in der letzten Zeit sehr viele unterschiedliche moderne Übungsformen entwickelt haben und dabei ganz besonders der „Yoga-flow“ mit fließenden Bewegungsabläufen immer häufiger wird, ist es mir ein Anliegen, die Bedeutung des ruhigen Verweilens in der Yogastellung etwas genauer zu beschreiben. Nach meinem Eindruck gibt es schöne Formen der fließenden Yogaarten (wie zB auch beeindruckend von Laruga Glaser), doch bleibt der Wert der körperlichen Ruhe in Bezug auf einen bestimmten, wie nachfolgend beschriebenen Aufbau der Seelenkräfte dabei außer Acht gelassen.

 

Der Wert der statischen Phase

 

Die statische Phase in der āsana ist das ruhige, bewegungslose Verweilen in der gewählten Position für eine bestimmte Zeitdauer, die je nach Stellung variiert wird. Die statische Phase ist körperlich völlig ruhig, aber von der mentalen Seite und Aufmerksamkeit sehr lebendig und bewegt. Durch die Ruhe des Körpers kann das Bewusstsein eine größere Wachheit und Beobachtungsfähigkeit entwickeln. Es löst sich wie aus den körperlichen Umständen los und erhebt sich in eine übergeordnete Wachheit. Im Yoga bzw. in der Sanskrit-Sprache wird diese Stellung des Bewusstseins mit sākṣi benannt, die Stellung des objektiv beobachtenden Zeugen, der nicht in die physischen Umstände verwickelt ist. Der Yogaübende kann durch die Ruhe des Körpers lernen, zwischen Körper und Bewusstsein zu unterscheiden. Er nimmt den Körper als eine eigene Welt wahr, bemerkt weiterhin die verschiedenen Gefühlseindrücke und psychischen Regungen und realisiert, dass es eine beobachtende Instanz gibt, die unabhängig von Körper und Psyche eine eigene Wirklichkeit bildet. Diese Unterscheidung scheint sehr wertvoll für das Erkennen zu sein, dass im Bewusstsein ein schöpferisches Potenzial liegt.

 

Die statische Phase kann im Vergleich zur fließenden Bewegung eventuell etwas zu starr oder gar zu langweilig erscheinen, doch wenn man das Bewusstsein als realen Faktor hinzunimmt, erkennt man, dass die ruhige Form der Stellung durch die Bewusstseinsaktivität sowie durch gedankliche Inhalte verlebendigt wird. Die ruhige āsana erhält Leben, Farbe, Ausdruck und Empfindung durch das Bewusstsein, das der Übende in die Stellung hineinführt.

 

Des Weiteren ist die Ruhe des Körpers auch deshalb wertvoll, weil sich der Körper normalerweise eigentlich immer im Getriebe der oft hektischen Alltagssituationen befindet und wie mitgerissen wird. Nur im Schlaf darf er ausruhen. In der āsana kommt er auch zur Ruhe, jedoch mit dem Unterschied zum Schlaf, dass das Bewusstsein wach und rege bleibt. Durch die körperliche Ruhe und die beobachtende, inhaltlich ausgerichtete Bewusstheit kann eine Loslösung von den vielen Unruhezuständen, die ständig vorwärts treiben, eintreten. Damit ist ein großer regenerativer Wert für das Nervensystem und den gesamten Organismus verbunden.

 

Drei Phasen der Übungsgestaltung mit Erweiterung

 

Die statische Phase als eine Art Gipfelpunkt der āsana steht jedoch nicht für sich alleine isoliert da, sondern ist umrahmt von weiteren wichtigen Phasen.

 

Klassischerweise besteht die āsana aus drei Schritten, dem Hineingehen in die Stellung, dem statischen Halten und dem Hinausgehen aus der Stellung. Vor dem Hineingehen ist es günstig, sich die Übung gut vorzustellen, sie gedanklich vorzubereiten. Und im Nachhinein kann auch eine Art Rückbetrachtung erfolgen. So kann die āsana in sich rhythmisch aufbauenden Schritten ausgeführt werden:

 

Gedankliche Vorstellung der Übung

 

Bevor man zu der ersten Bewegung ansetzt, ist es sinnvoll, sich ein klares Bild über die beabsichtigte Übung zu machen. Je klarer die Vorstellung zu der āsana ist, umso besser kann sie gelingen und auch einen schönen Ausdruck gewinnen. So kann man sich zB verschiedene Aspekte vorstellen, wie beispielsweise

 

- die Form der āsana

- die Art der Bewegung, wo setzt sie an, in welche Richtung fließt sie

- welche Körperteile sind dynamisch oder angespannt und welche bleiben entspannt und gelöst

- wo ist das Zentrum der Stellung

- welche Charakteristik weist sie auf

- auf welche Bewusstseinshaltung möchte man achten (Beobachtung, Entschlossenheit, Ruhe, etc.)

- welchen Inhalt wählt man für die Übung (hier sind besonders die sorgfältig ausgearbeiteten Gedanken des Neuen Yogawillens zu empfehlen)

- die Haltezeit

u. v. m.

 

Die Vorstellung ist bildlich, so wie wenn man ein Bild oder ein außenstehendes Objekt betrachtet. Die Vorstellungsbildung setzt feinere Kräfte, sogenannte Ätherkräfte frei, die schließlich eine zwanglose, natürliche Spannkraft und Dynamik für die Übung ermöglichen.

 

1. Die beginnende dynamische Phase bzw. das Hineingehen in die Übung

 

Man könnte meinen, dass nur die Endstellung wesentlich ist und der Weg dorthin keine große Bedeutung aufweist. Es ist jedoch ganz und gar nicht gleich, wie man in die Stellung hineingeht. Nach der vorbereitenden Vorstellung beginnt man nun die Bewegung, bewahrt das vorbereitete gedankliche Bild und geht unkompliziert, aber bewusst und klar geführt in die Endposition. Oft macht der Körper nicht gleich so mit, wie man es gerne hätte. Man kann ihm dann Zeit einräumen, die Bewegung nicht erzwingen, aber nach und nach mit Beobachtung, Ruhe und natürlicher Entschlossenheit die Stellung zu ihrer bestmöglichen Form ausgestalten. 

 

Die Phase des Hineingehens ist somit niemals ein Zwingen des Körpers oder ein frontales Ankämpfen gegen die Widerstände, sondern es ist vielmehr mit einem Loslösen des Körpers, mit einem Weicherwerden, und dann erst nachfolgenden Anspannen, die aus Ruhe, Beobachtung und konsequenter bewusster Führung der Bewegung erfolgen, verbunden. Man formt den Körper, ohne ihn zu zwingen, aber auch ohne im nur bequemen und leichtest möglichen Rahmen zu bleiben.

 

Das zuvor vorgestellte Bild über die Übung ist dabei wie der „Leitstern“, der dabei hilft, die Bewegungsausformung bis zur Endstellung zu bewahren und sich nicht im Kampf mit den körperlichen Widerständen zu fixieren und zu blockieren.

 

Die Phasen des Hineingehens können zeitlich variiert werden. Manchmal geht man schneller in die Übung und manchmal nimmt man sich mehr Zeit und besondere Genauigkeit.

 

Wie kann diese beginnende dynamische Phase eventuell mit feineren Empfindungen noch erlebt werden?

 

Es kann beispielsweise erlebt werden, wie die Bewegung durch die Luft gleitet. Die Luft oder der „Luftraum“ um den eigenen Körper herum ist immer vorhanden. Dies kann man ganz praktisch nehmen. Er ist als feines Element ständig vorhanden und jede Bewegung geschieht durch diesen Luftraum hindurch. Auch über den Atemfluss ist ein ständiger Austausch mit dem Außenraum gegeben. Mit empfindsamer Beobachtung kann man zur Kenntnis nehmen, wie die Bewegung diesen Luftraum durchgleitet und darin Formen zeichnet. Man kann dabei auch die Luft als feine Berührung auf der Haut als äußerster Körperkontaktstelle außen peripher wahrnehmen. Dieses Wahrnehmen der körperlichen Peripherie hat nach verschiedenen Erläuterungen von Heinz Grill wertvolle heilsame Einflüsse auf Körper und Psyche. Außerdem führt diese Wahrnehmung zu einer leichten freien Atmung und damit kann auch wieder die Bewegung an Schwere und Zwang verlieren und Leichtigkeit und Spannkraft gleichzeitig entwickeln.

 

Das Hineingehen in die Endposition kann auch noch wie folgt erlebt werden: Aus der normalen, vertrauten, gewohnten Haltung beginnt die Bewegung in eine ungewöhnliche Position. Sie kann als Hinausbewegen zu einer neuen Dimension, die man einnimmt, erlebt werden. Man bewegt sich hinaus aus der vertrauten Haltung in eine neue unbekannte Form des Körpers, aber auch des Bewusstseins, denn jede yoga-āsana ist mit einer bestimmten Bewusstseinsform verbunden. Es ist die Ausdehnung hinaus von dem Gewohnten zu einem Unbekannten und eine Expansion zu neuen erweiterten Möglichkeiten.

 

2. Die statische Phase, das bewegungslose Halten der asana

 

Nach der ersten Bewegungsphase verweilt der Körper nun ruhig und bewegungslos für eine bestimmte Zeit in der Position. Je nach āsana sind unterschiedliche Haltezeiten sinnvoll. Beispielsweise werden in der Regel Rückwärtsbeugen nicht so lange statisch gehalten wie die Vorwärtsbeugen. Übungen wie der Schulterstand oder die Kopf-Knie-Stellung können auch einmal 3 bis 5 Minuten ruhig gehalten werden. Man kann diese Zeiten aber nach Schwerpunkt variieren.

 

In dieser Phase verweilt nun der Körper still und regungslos, während die Atmung in einem natürlichen und gelösten Rhythmus weiterfließt und das Bewusstsein wach, beobachtend und aktiv bleibt. Der Körper wird nicht streng und fixiert gehalten, sondern man lässt ihn nach und nach los, gibt ihn hin, so wie wenn man ihn der Stellung überlässt, lässt ihn gewissermaßen in Ruhe. Das Bewusstsein lässt man dabei nicht „versinken“, in dem Sinne, dass man sich wie mit dem Körper fallen lässt oder dass man besonders in den Körper hineinspürt. Ganz gegenteilig bleibt man sehr wachsam, aufmerksam und stellt sich wie ein beobachtender Zeuge den körperlichen und psychischen Umständen gegenüber. So entwickelt sich - wie anfangs beschrieben - während der ruhigen Haltezeit eine Unterscheidung, dass es den Körper gibt und dass es unabhängig ein Bewusstsein gibt, dass gegenüber dem Körper beobachten kann, aber nicht in ihn hineinverwickelt bleiben muss. Der „beobachtende Zeuge“, sākṣi, kann real und praktisch erlebt werden.

 

So wie man den Körper in der Position halten muss, so bemüht man sich, auch das Bewusstsein aufrecht zu erhalten bzw. einen Beobachtungsinhalt und einen konkreten Gedanken zur Übung zu bewahren. Man lässt das Bewusstsein nicht versinken, abschweifen, träumen. Es bleibt wachsam zu den gegenwärtigen Umständen ausgerichtet. Beispielsweise bleibt man mit der Beobachtung bei einer bestimmten Körperregion und bewahrt einen konkreten Gedanken über die Bedeutung der āsana. In diesem Sinn ist die Bewusstseinsaktivität ein forschendes inhaltliches Beobachten. Das Hinschauen ist nicht leer, sondern mit vorgenommenen Inhalten und Gedanken gefüllt, die mit der Zeit und Wiederholung zu lebendigen Empfindungen führen.

 

3. Die beschließende Phase und Verlassen der Stellung

 

Das Verlassen der Stellung und Zurückkehren zur Ausgangsposition ist wieder gut geführt und mit klarer Bewegung, die eventuell nochmal formend ist, so dass man beispielsweise in der Kopf-Knie-Stellung noch einmal weit nach vorne hinausspannt, bevor man sich wieder aufrichtet.

 

Man geht somit nicht irgendwie aus der Stellung und bricht sie abrupt ab, sondern führt die Bewegung wieder richtig zurück, so wie man sie hineingeführt hat. Dies gibt der Übung einen runden Abschluss und fördert ein harmonisches Erleben.

 

Oft ist es auch so, dass nach einer längeren Haltezeit der Impuls kommt, dass man wieder hinaus möchte aus der Stellung und ganz automatisch folgt man diesem Impuls einfach nach. In den āsana ist es aber sinnvoll und wertvoll, wenn man den Zeitpunkt für das Hinausgehen aus der Stellung bewusst entscheidet. So kann man - wenn der automatisierte Impuls des Hinauswollens kommt - bewusst die Ruhe bewahren, noch einmal kurz abwarten, sich sammeln und dann gezielt aus der Stellung zurückkehren. Dies stärkt noch einmal das Bewusstsein in seiner Beobachtung und unabhängigen Entscheidungsfähigkeit. Man überlässt sich damit genau genommen nicht den unbewussten Willensimpulsen, sondern führt die Schritte aus dem Bewusstsein heraus.

 

Rückbetrachtung

 

Nach der körperlichen Aktivität kann eine mentale die Übung beschließen, indem man sich noch einmal die Übung im Nachhinein vorstellt. Man rekonstruiert sie, wie man sie ausgeführt hat, und fragt sich, wo die Aufmerksamkeit und die Gedanken gewesen sind, welche Beobachtungen man gemacht hat und wie eventuell die Stellung für einen außenstehenden Betrachter ausgesehen hat, und wie im Vergleich dazu das Idealbild aussieht. Man kann sich auch noch einmal Überlegungen zur Bedeutung der Übung anstellen oder auch beobachten, wie sie im Nachhinein auf das Empfinden wirkt. 

 

Dabei ist wieder auf eine ganz wichtige Unterscheidung zu achten: Man spürt nicht in sich oder in die tiefsten Körpergefühle hinein im Sinne des Versinkens, sondern betrachtet sehr neutral, objektivierend und forschend. Ziel ist nicht, ein besonderes Gefühl oder eine stärkere Energetisierung zu finden, sondern eine gewisse Erkenntnis und erweiterte objektive Bewusstheit.

 

Die Beobachtung ist in jeder Hinsicht förderlich, wenn sie eine Art Mittelstellung finden kann: So realisiert man einerseits die äußerlichen Umstände und bleibt sich auch des Umfeldes bewusst, zB wo man sich befindet und welche anderen Personen noch anwesend sind. Andererseits werden die eigenen Eindrücke, Empfindungen und Denkvorgänge wahrgenommen. Diese Stellung zwischen Außen- und Innenwahrnehmung entspricht nach der Chakrenlehre dem Herzzentrum, anāhata cakra, und fördert eine ausgeglichenes Erleben zu sich selbst wie auch nach außen. Es fördert die Fähigkeit, sich mit dem Leben und anderen Menschen in Beziehung zu bringen, ohne sich selbst zu verlieren. 

 

Das „Hineinspüren“ nur in sich selbst und die eigenen Körpergefühle fördert mit der Zeit eine sehr abgeschlossene Haltung, bei der man sich zu stark nach innen abisoliert und die Wahrnehmung und Beziehung zum Leben nicht objektiver, sondern subjektiver und projektiver wird.

 

Hier ist auch die Frage interessant: Was spürt man eigentlich, wenn man seinen Körper beobachtet? Man spürt viele Muskelspannungen, Widerstände und Blockaden in den Gelenken, aber auch gewisse Strömungen, die von den Organen ausgehen, sowie angenehme und unangenehme Gefühle, die oft durch die Übung angeregt werden. Diese kann man beobachten, sie so nehmen, wie sie sind, oder eben  - wenn die übergeordnete Beobachtung fehlt - mit diesen wie hinwegtauchen. Unabhängig von diesen Körpergefühlen gibt es auch feinere Empfindungen. Jede āsana ist mit einer feineren Empfindung oder seelischen Erlebensform verbunden. Im Schulterstand ist beispielsweise die Empfindung charakteristisch, wie der Körper aus dem Brust/Herzbereich entgegen der Schwerkraft hochstrebt und dabei eine Leichtigkeit wie eine hochgetragene Blüte entwickelt. In der Kopf-Knie-Stellung ist es die Empfindung, wie sich durch die ruhige, aber sehr aktive Dynamik aus der Mitte der Wirbelsäule eine weitestmögliche Ausdehnung formt, die schließlich in einer bodennahen und geschlossenen Form zur Ruhe kommt.  Der Drehsitz ist gekennzeichnet durch die wache Übersicht, der Fisch durch Zentriertheit und sensible Offenheit nach außen. etc.

 

Die Unterscheidung zwischen Körpergefühlen und feineren objektiven Empfindungen auszuprägen, ist ein wichtiger, gesundheitsfördernder, schöner und interessanter Lernschritt beim Yogaüben, der vor allem auch durch diese drei Phasen mit der statischen Phase als Zentrum entwickelt werden kann.

 

Bedeutung für die Seelenkräfte Denken, Fühlen, Wollen

 

Durch diesen Übungsaufbau mit den unterschiedlichen Phasen können die Seelenkräfte, das Denken, das Fühlen und der Wille, welche auch schöpferische, kreative Kräfte sind, gefördert und differenziert werden. 

 

Sehr wichtig erscheint es, zu verstehen, dass eine āsana in der Ruhestellung nichts anderes als eine Form und eine Ordnung des sogenannten Ich beschreibt. Es ist eine spezifische Dimension, die der Übende bezieht. Je schwieriger die Endstellung ist, beispielsweise die Königskobra oder der vollständige Drehsitz, desto höher ist die Ordnung, die der Übende mit seinem Ich für die Phase des ruhigen Verweilens einnimmt. Indem der Übende auch sehr ruhig bleibt, erlebt er auf der einen Seite den Körper in der Form und klaren irdischen Ordnung und beobachtet auf der anderen Seite den äußeren Raum, erwägt Gedanken und bemerkt die hinzugehörigen Gefühle. Er schweift nicht nach außen, sondern bleibt in den vorgenommenen Gedanken und beobachtet die Stimmungen und Gefühle. Das Bewusstsein ist in allen Phasen aktiv tätig, aber da der Körper nun in einer wirklichen stillen, gewissermaßen sogar schweigenden Phase angekommen ist, erlebt der Übende sich nicht nur mit dem Bewusstsein regsam und formend tätig, sondern er erlebt auch eine große Übersicht in seiner Gedankenperspektive. Er erlebt den Gedanken als Gedanken, da der Körper schweigt. Der Gedanke ist nun nicht mehr versunken im Leibe, sondern wird für das eigene Erkennen wahrnehmbar. Das Ich wird in dieser Dimension angesprochen. Es wird zu seiner größtmöglichen, gedanklichen Übersicht, Weisheit und in seiner Funktion der körperfreien Erkenntnis gefördert.

 

aus „Die Seelendimension des Yoga“, Heinz Grill (Kapitel: Die drei Phasen der Übung im rhythmischen Aufbau)