Yoga-Übungen und die Energiezentren, cakra

Eine wichtige Unterscheidung zur Wirkungsweise


Stimulierung und Energetisierung als Weg „von unten nach oben“ 

verso:  In-Ruhe-Lassen und Bewusstseinsbildung als Weg „von oben nach unten“


Das 6. Zentrum, ajna-cakra, und der Drehsitz


Das 4. Zentrum, anahata-cakra, und eine Naturbetrachtung


In der Yogaphilosophie werden entlang der Wirbelsäule von unten nach oben sieben Chakren, die sogenannten Energiezentren, zugeordnet:

  • beim Steißbein das 1. Zentrum, im Sanskrit mit muladhara-cakra benannt, das Wurzelzentrum, (Lotusblüte mit 4 Blütenblättern)
  • auf Höhe des Kreuzbeins das 2. Zentrum, svadhisthana-cakra, (Lotusblüte mit 6 Blütenblättern)
  • auf Höhe des Magens das 3. Zentrum, manipura-cakra, mit dem Begriff Sonnengeflecht zusammengefasst, (Lotusblüte mit 10 Blütenblättern)
  • in der Herzregion das 4., mittlere Zentrum, anahata-cakra, einfach genannt Herzzentrum, (Lotusblüte mit 12 Blütenblättern)
  • beim Kehlkopf das 5. Zentrum, visuddha-cakra oder Kehlkopfcakra, (Lotusblüte mit 16 Blütenblättern)
  • an der Stirn das 6. Zentrum, ajna-cakra, (Lotusblüte mit 2 Blütenblättern) 
  • ganz oben am Scheitel das 7. Zentrum, sahasrara-cakra, (1000-blättriger Lotus)

 

Jedes Chakra steht in Zusammenhang mit spezifischen Hormondrüsen und Organen. Diesbezüglich verweise ich auf gute Fachliteratur.

 

Wie ist die Wirkung dieser Energiezentren zu verstehen?

 

Die landläufige Vorstellung, wie die Energiezentren wirken, ist jene, dass durch spezielle Anregung von außen, also durch Übungen wie die Yogastellungen, bestimmte Meditationspraktiken oder auch Düfte oder Edelsteine, eine Stimulierung erfolgen kann und dadurch schlummernde oder blockierte Energien erweckt werden. Diese Energien führen nach dieser Sichtweise zu einer körperlichen Belebung, zu mehr Kraft und Ausgeglichenheit in der täglichen Lebensbewältigung, zu mehr Glück und Harmonie oder auch zu spirituellen Erfahrungen.

Dies wäre eine Bewegungsrichtung ausgehend von körperlicher oder materieller Seite, die sich bis auf die Seele und den Geist fortsetzen solle. Man kann diese Bewegungsrichtung bezeichnen als einen Weg „von unten nach oben“.

 

Bei genauerem Studium beginnt man sehr schnell zu ahnen oder zu verstehen, dass diese beschriebene Bewegungsrichtung eine unlogische Schlussfolgerung beinhaltet. Mit dieser Deutung über die Wirkungsweise setzt man das Energiezentrum an den Anfang einer nachfolgenden positiven Entwicklung. Bei differenzierterer Auseinandersetzung zeigt sich das Energiezentrum aber vielmehr als ein feinstoffliches Zentrum, das nicht am Anfang einer Entwicklung steht, sondern am Ende eines Prozesses. In diesem Chakra drückt sich das Ergebnis vorangegangener seelisch-geistiger Entwicklungsvorgänge aus.  

 

Das 6. Zentrum, ajna-cakra, als Beispiel

 

Beispielsweise steht das 6. Zentrum für die Konzentrationsfähigkeit, Wachheit und projektionsfreie, schöpferische Gedankenkraft. Der Weg von unten nach oben wäre jener, dass durch bestimmte Übungs- und Meditationsausrichtung und eventuell unter Zuhilfenahme von bestimmten Düften, Steinen oder Klängen versucht wird, das Zentrum anzuregen und dadurch die Energien freier fließen können und in der Folge die Konzentration und Gedankenkraft gesteigert würden.

 

Die Richtung von oben nach unten ist nun, dass das Energiezentrum das Ende eine Prozesses aufzeigt und am Anfang die Konzentration und der schöpferische Gedankenprozess selbst stehen. Können diese eintreten oder werden diese aktiv entwickelt, dann wirkt sich dies in der Folge auf das ajna-cakra dementsprechend aus.

 

in diesem Fall lässt man das Energiezentrum, als ein Zentrum für feinere Lebensenergien, (das man ja genau genommen gar nicht kennt) in Ruhe, lässt die Ebene der Energetisierung völlig beiseite und widmet sich mit Fragen, aktiven Denkvorgängen und Betrachtungen wesentlichen Gedanken, die von fundierter Quelle dazu formuliert sind.

 

In Bezug auf das 6. Zentrum kann dies beispielsweise so aussehen, dass man von einer Textstelle wie folgender ausgeht:

 

Die Begriffe Selbst und Selbstverwirklichung

Mit der Entwicklung des sechsten Zentrums gelangt der Aspirant zu seiner geistigen Bestimmung und erlebt ein sehr großes Maß an Freiheit durch die Fähigkeit des Wahrnehmens der Gedanken.

... „Cogito ergo sum“ - Ich denke also bin ich, lautet eines der wesentlichen Postulate des französischen Philosophen, Mathematikers und Naturwissenschafters René Descartes (1596-1650). Das Selbst ist durch das eigene Denken erfahrbar, denn der Denkende erlebt sich in der Aktivität, da er selbst den Gedanken durch seine Wahrnehmung und Denktätigkeit führen kann. Genau genommen müsste man dieses Zitat von Descartes mit einer Ergänzung präzisieren: „Ideam percipio et mea anima in idea vivit.“ - „Ich nehme einen idealen Gedanken wahr und in diesem liegt mein Selbst.“

Die Verwirklichung des Selbst erfolgt nicht, wie man glauben könnte, aus dem Körper und aus den bisher bekannten Gefühlen. Sie erfolgt aus einer Idee, die real gedacht und zu einem Ideal geführt wird, sie erfolgt deshalb aus einem Gedanken, der bis in die Realität umgesetzt wird. Das Selbst lebt im Gedanken und erstrahlt auf den Körper. Die Äußerlichkeiten der Gefühle und physischen Umstände haben wenig Bedeutung.

Der Gedanke bildet das Selbst des Menschen.

(Die 7 Lebensjahrsiebte und die 7 Chakren, Heinz Grill, Synergia Verlag)

 

So beginnt der Prozess mit einem Text, d.h. mit außen stehenden, noch fremden oder völlig neuen Aussagen, die man als gedanklichen Inhalt anschaulich vor sich hinstellt, neutral betrachtet und sich dazu mit Fragen und weiteren Überlegungen annähert. Man muss dabei nicht sofort intellektuell verstehen, sondern den Inhalt eben einfach mit dem Denken wahrnehmen. Darin liegt der erste Schritt.

 

Es ist ein großer Unterschied, ob man im eigenen Körper und der eigenen Psyche ansetzt oder ob man von einem konkreten, außen stehenden, übergeordneten Gedankeninhalt ausgeht.

 

Der Drehsitz, matsyendrasanaals Übung, anhand derer das 6. Zentrum nachvollzogen werden kann

 

Der Drehsitz ist eine Übung, die dem 6. Energiezentrum zugeordnet ist. In der speziellen Sitzhaltung mit einem nach innen gewinkelten und einem aufgestellten Bein wird vorbereitend die Wirbelsäule sorgfältig bis hinauf zum Kopf aufgerichtet und so lange ruhig verweilt, bis sich eine Bewusstheit für die Stirn eingestellt hat. Die Vorstellung zur Übung ist nun, dass die Gedanken in einer freien und übergeordneten Weise die Sitzhaltung umspannen und wie ein weiter Bogen unberührt vom Körper sind. Die Vorstellung über die Weite und Freiheit des Gedankens bleibt bewahrt, während der Körper in die Drehung geführt wird und zuletzt in einer klaren, festen Form ruht. Das Bild ist: Die Weite der Gedanken und die Wahrnehmung zum Gedanken bleibt unberührt und übergeordnet über der festen, ruhigen, irdischen Form.


 

Die Übung des Drehsitz hat damit die Bedeutung, dass man an ihr die Vorstellung zu der Fähigkeit, einen Gedanken wahrzunehmen, praktisch üben kann. Der Kopf mit der Stirn und der Wahrnehmung zur übergeordneten Gedankensphäre bleibt frei, nicht involviert in die Drehung und die ruhige Endform des Körpers. „Von der Idee zur Form“ wäre das Prinzip im Drehsitz, und er dient zum Üben, Erforschen und Umsetzen dieses Zusammenhanges. Immer ist die Idee das Erste und aus dieser kann sich eine sichtbare Form oder Sache ausbilden. So entsteht bei entsprechender Auseinandersetzung ein praktisches Verständnis für diesen Inhalt zum 6. Zentrum.

 

„Ich nehme einen idealen Gedanken wahr und in diesem lebt mein Selbst.“

 

Kann man in dieser Tätigkeit, ideale Gedanken wahrzunehmen und zu denken, bis sich über weitere aktive Schritte und Handlungen eine physische Form im Leben manifestiert, die eigene  Schöpferkraft erkennen? Wie hängt dies mit Freiheit und dem sogenannten Selbst zusammen?

 

Die Verwirklichung des Selbst erfolgt aus einer Idee, die real gedacht und zu einem Ideal geführt wird, sie erfolgt aus einem Gedanken, der bis in die Realität umgesetzt wird.

 

Es ist das natürlich ein sehr großes und weites Thema, das eine lange Auseinandersetzung erfordert und sicher immer nur in kleinen Annäherungen erschlossen werden kann. Doch die Aussage, dass man Gedanken, die man noch nicht versteht, einfach denkt und in die Anschauung rückt, ohne sie sogleich zu ergreifen und mit eigenen Assoziationen, Projektionen oder Emotionen belegt, scheint eine ganz fundamentale Bedeutung zu haben.

 

Das 4. Zentrum, anahata-cakraanhand einer Beschreibung von Rudolf Steiner

 

Rudolf Steiner hat die Chakren als Sinnesorgane der Seele bezeichnet. Er beschreibt ausführlich die Voraussetzungen für die Ausbildung dieser Sinnesorgane. 

 

Beim Herz-Cakra (zwölfblättrige Lotusblume) beispielsweise nennt er sechs Eigenschaften, die der Mensch durch eigene Aktivität im Leben ausprägen muss; die erste davon wäre die Logik der Gedanken:

 

„Die Ausbildung dieses Sinnes wird auf folgende Art gefördert: Das Erste, was in dieser Beziehung der Geheimschüler* beobachtet, ist die Regelung seines Gedankenlaufes (die sogenannte Gedankenkontrolle). So wie die sechzehnblättrige Lotusblume (Anm.: 5. Zentrum) durch wahre, bedeutungsvolle Gedanken zur Entwicklung kommt, so die zwölfblättrige durch innere Beherrschung des Gedankenverlaufes. Irrlichtelierende Gedanken, die nicht in sinngemäßer, logischer Weise, sondern rein zufällig aneinandergefügt sind, verderben die Form dieser Lotusblume. Je mehr ein Gedanke aus dem anderen folgt, je mehr allem Unlogischen aus dem Wege gegangen wird, desto mehr erhält dieses Sinnesorgan die ihm entsprechende Form. 

Hört der Geheimschüler unlogische Gedanken, so lässt er sich sogleich das Richtige durch den Kopf gehen. Er soll nicht lieblos sich einer vielleicht unlogischen Umgebung entziehen, um seine Entwicklung zu fördern. Er soll auch nicht den Drang in sich fühlen, alles Unlogische in seiner Umgebung sofort zu korrigieren. Er wird vielmehr ganz still in seinem Inneren die von außen auf ihn einstürmenden Gedanken in eine logische, sinngemäße Richtung bringen. Und er bestrebt sich, in seinen eigenen Gedanken überall diese Richtung einzuhalten.“

(Wie erlangt man Erkenntnisse der Höheren Welten, Rudolf Steiner, Verlag Freies Geistesleben)

 

Geordnete Beobachtungen beim Yogaüben

 

In Bezug auf die Yogapraxis gibt es nun einige Übungen, die von ihrer Charakteristik dem Herzzentrum zugeordnet sind. Das sind der Schulterstand, der Baum, die Zehenspitzenstellung. Allgemein, auf alle Übungen bezogen, ist es im Sinne der Logik der Gedanken förderlich, während der Übung aktiv und geordnet die Beobachtung und Aufmerksamkeit zu führen.

Man verweilt ruhig in der Yoga-Stellung und betrachtet den Körper geordnet, also  in einer Reihenfolge wie beispielsweise die Beine, Hüften, Rücken und Wirbelsäule, Brustkorb, Arme, Hände, Kopf oder man bleibt mit der Beobachtung in einer Region mit der Vorstellung, dass diese das Zentrum der Stellung bildet, wie die Herzregion beim Schulterstand, und dazu im Verhältnis die umliegenden Körperteile als periphere Regionen. So entsteht eine Ruhe und Ordnung in der Stellung, welche sich auch beruhigend, ordnend und regenerativ auf das Nervensystem auswirkt.

 

Eine Naturbetrachtung als Übungsbeispiel

 

Auch kann man die Natur mit bewussten, geordneten Gedankengängen beobachten und somit diese Gedankenkontrolle praktisch üben. Man nimmt sich dafür 5 bis 15 Minuten Zeit und sucht sich eine Naturerscheinung wie hier die Bergkette der Churfirsten:

 

Zuerst sieht man sich das gesamte Bild an. Man kann sich bewusst machen, dass die Berge verschneit und nur einzelne Felsbänder schneefrei sind, dass sich unter den Bergen der dunkle Wald befindet und oben der helle Himmel, links mit von der Sonne beleuchteten kleinen Wolken und rechts blauer werdend. Dann gleitet man mit den Augen der Kontur entlang, zB von links nach rechts, und folgt dem äußeren Rand dieser Berggestalten. Nun sieht man sich jede einzelne Form mit ihrer Felsstruktur genau an und geht dabei wieder schrittweise von der linken bis nach rechts. Man registriert, wie links die breiteste Erhebung ist und dann ein breiterer Gipfel mit einem spitzen Gipfel abwechselt und schließlich ganz rechts ein lang auslaufender Gipfelaufschwung. Wie sind die Proportionen zueinander? Jeder Gipfel zeigt sich mit großen, übereinander gelagerten Schichten, die nach vorne hin eine mehr oder weniger breite, von unten nach oben fast durchgehende Fläche bilden. Schließlich kann man noch einmal die Gesamtverhältnisse ansehen und auch konkret registrieren, wie die Licht- und Schattenverhältnisse sind. Wo berührt die Sonne den Schnee oder die Felsen und wo liegt der Schatten? Wie ist die gesamte Lichtstimmung?

 

In etwa dieser Weise kann man vorgehen. Anschließend ist es sinnvoll,  die Augen zu schließen oder wegzuschauen und in Gedanken das Bild in gleicher Reihenfolge noch einmal zu rekonstruieren.

 

Abschließend kann man sich noch selbst fragen: Wie wirkt diese Betrachtung im Nachhinein?

 

 

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* Geheimschüler ist der Begriff, den Rudolf Steiner für einen Menschen verwendet, der bewusst nach geistiger Erkenntnis sucht und sich gezielt in seinem Denken darin schult, seelisch-geistige Lebenszusammenhänge konkret zu erkennen. Der Begriff ist eventuell für uns heute etwas ungewöhnlich, wenn man ihn noch nicht gehört hat.