Die drei großen Ernährungssysteme: Sinne, Atem und Verdauung

Ein interessantes Buch, das u.a. eine Arbeitsgrundlage bei meinen Kursvorbereitungen bildet, ist „Der freie Atem und der Lichtseelenprozess“ von Heinz Grill. Darin wird ein Verständnis für die physiologischen und darüber hinaus seelisch-geistigen Zusammenhänge des Atemvorganges herangeführt und in dieser Grundlage auch eine Vielzahl von einfachen bis etwas anspruchsvolleren Körperübungen, teilweise Yogaübungen, beschrieben, anhand derer man diese Zusammenhänge erforschen und in eine konkrete, praktische Ausgestaltung bringen kann. Durch die gesamten Kapitel des Buches zieht sich das Thema, wie der Atemvorgang mit der Eiweißbildung im menschlichen Organismus zusammenhängt und wie eine gesunde Atemphysiologie mit einer harmonischen Eiweißumsetzung gefördert werden kann, die wiederum den Menschen in seiner Gesundheit und individuellen Entwicklung unterstützen. Das Eiweiß oder Protein ist die Substanz, die eine Art primäre Funktion im grundlegenden körperlichen Aufbau einnimmt. Der Begriff Protein drückt auch von seinem Wortstamm soviel aus wie das Vorangehende, das Erste. Es ist der Stoff, der bei jedem Menschen einzigartig und individuell gebildet ist. Jeder Mensch hat seine individuelle Eiweißstruktur, die keiner anderen gleicht. Es steht im Zusammenhang mit einer Grundkraft oder sogenannten Urbildekraft des menschlichen Organismus und in weiterer Folge mit der menschlichen Individualität. (Vgl. Anthrowiki: https://anthrowiki.at/Eiweiß)

 

Das Thema Atmung drängt sich für mich in Zeiten wie diesen förmlich auf. Die Atemphysiologie und darüber hinaus auch weitere Zusammenhänge sind sehr spannend. Wenn man den Menschen nicht nur auf den Körper und seine Physiologie begrenzt, sondern davon ausgeht, dass er vor allem ein seelisches und geistiges Wesen ist, dann eröffnet sich auch das Thema Atmung in einem erweiterten Blickwinkel. In seriösen ganzheitlichen medizinischen Ansätzen ist man ja darum bemüht, den Menschen in seinem sowohl körperlichen als auch seelischen und geistigen Zusammenhang zu erfassen. Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch immer in einem seelischen und geistigen Entwicklungsprozess steht, dies auch dann, wenn die körperliche Entwicklung scheinbar abgeschlossen ist.

 

Heute ist es allgemein bekannt, dass Atemübungen oder Atemtechniken auch zur Yogapraxis gehören. Weniger bekannt sind aber beispielsweise die 3 Säulen des Yoga, nämlich bhakti (Hingabe), jnana (Erkenntnis) und karma (Handlung). Entsprechend jnana, der Erkenntnis oder Erkenntnissuche, kann man beispielsweise nun den Atemvorgang erforschen und ein Verständnis oder sogar eine Erkenntnis dazu erarbeiten. Diese Arbeit erscheint viel wesentlicher und grundlegender als das Praktizieren von Atemtechniken ohne Wissen um Zusammenhänge oder ohne vertiefte Erkenntnisbemühung.  (siehe auch Otto-Albrecht Isbert: "Yoga - Arbeit am Selbst")

 

Für diesen Artikel möchte ich daher einige Aussagen aus einem Kapitel des Buches „Der freie Atem“ etwas genauer betrachten und allen Interessierten vorstellen, um weiteres selbständiges Nachdenken, Beobachten und Verstehen zu entwickeln. Die Originaltexte zu lesen ist sehr empfehlenswert, da eine umfassende Logik und Sicht darinnen liegt. Meine Beschreibungen sind mehr als Hinführung gedacht und als ein Beispiel, wie man mit solch einem Kapitel weiterdenkend umgehen kann. Durch das Weiterdenken wird man selbst noch einmal aktiver aus der eigenen Kraft und übersteigt dabei die passive Haltung des Nur-Informationen-Aufnehmens. Sobald man mit den gelesenen Gedanken selbst zu arbeiten beginnt und sie forschend weiter ausformt, wird das Lesen kreativ und ein Lernprozess kann entstehen.

 

In dem Kapitel „Die drei großen Ernährungsprozesse des Körpers und weitere Gedanken zur Proteinsynthese“ ist die erste Aussage, dass es - mit unterschiedlichen Sensibilitätsgraden - drei große Ernährungssysteme gibt.  Diese sind

 

-  das Sinnessystem, 

-  das Atemsystem und 

-  als „gröbstes“ das Verdauungssystem.

 

Wie interessant, dass nicht nur das Essen bzw. die Nahrungsaufnahme und die nachfolgende Stoffumwandlung als Ernährungsvorgang aufgezählt werden, sondern auch das Sinnessystem und das Atemsystem! Bei etwas näherem Betrachten ist es aber sofort leicht nachvollziehbar und nachempfindbar, dass das tatsächlich so ist, auch wenn man wahrscheinlich die genauen Vorgänge erst mit längerer Auseinandersetzung erkennen kann.

 

Da alle drei Systeme zusammenhängen, sind hier auch alle drei dargestellt.


 

Das Sinnessystem

 

Das erste Ernährungssystem ist demnach das Sinnessystem. Der Mensch hat verschiedene Sinnesorgane, mit denen er die Außenwelt wahrnehmen kann. 

 

Die Augen sind die Organe, die über den Sehsinn die Formen, Farben, äußeren Gegenstände und Menschen wahrnehmbar machen. Mit den Ohren und dem Gehörsinn hören wir Töne, Klänge, Geräusche. Mit der Nase und dem Geruchsinn werden die Düfte und Gerüche zugänglich und mit der Zunge und dem Geschmacksinn das Aroma in den Stoffen. Und mit den Tastzellen an der Haut bzw. dem Tastsinn spüren wir die verschiedenen Strukturen von Oberflächen sowie Wärme und Kälte.

 

Das Nervensystem hat hierbei eine wichtige Vermittlungsaufgabe, denn es übermittelt diese Eindrücke an das Gehirn und an den gesamten Organismus.

 

Nun ist dieser Sinnesvorgang so beschrieben: Der Sinneseindruck sei wie ein Impuls, der vom empfangenden Gehirn und den untergründig arbeitenden Stoffwechselorganen eine Art Reaktion oder Antwort abverlangt. 

 

Man kann sich dies ruhig und bildhaft anschaulich vorstellen: 

Jeder Sinneseindruck erfordert von den Organen eine Reaktion. Jeder Eindruck mit dem Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten wirkt weiter in den Organbereich und verlangt eine entsprechende Antwort und Reaktion. Ein unglaublich intensives Zusammenwirken von unserer Sinnesaktivität mit den unbewussten innersten Stoffwechselabläufen scheint hier also zu bestehen.

 

Und weiter: Der Sinneseindruck wirke nicht wie ein Nahrungsstoff (also eine feste oder flüssige Substanz), sondern wie ein spezifischer Lichtimpuls auf das Nervensystem, und das Nervensystem beeinflusse in der Folge über seine verschiedenen Bahnen und Überträgerstoffe das Stoffwechselsystem.

 

Dabei sei das Licht das primäre Medium, das den Sinneseindruck vermittelt, und das Nervensystem vermittelt in der Folge den Lichtimpuls weiter in den Organismus bis hinein zu und in die Zellen. Es kann daher auch von einem Lichtstoffwechsel gesprochen werden.

Dazu eine kleine Übung: 

  1. Man schaut etwas genau an, 
  2. schließt die Augen oder sieht weg und rekonstruiert es in Gedanken
  3. bewahrt dieses gedankliche Bild einige Minuten anschaulich in der Erinnerung
  4. und bemerkt im Nachhinein, wie sich durch das Nachbilden des Gesehenen und das Bewahren des Sinneseindrucks in Gedanken dieser Eindruck innerlich einprägt und als Erinnerung lebendig bleibt

 

Reflektiert man diesen Vorgang, so bemerkt man, dass das Bewusstsein dabei eine wichtige Bedeutung einnehmen muss, denn das Bewusstsein kann mehr oder weniger aktiv beteiligt sein oder auch ganz passiv bleiben. Viele Eindrücke dringen im Alltag nur halbbewusst oder wie im Vorbeigehen in uns ein. Töne, Bilder, Aussagen, Ereignisse, Menschen, Speisen u.v.m. hinterlassen über den Tag hinweg unzählige Eindrücke in unserem Nervensystem, ohne dass wir sie aktiv und wirklich bewusst wahrnehmen. Viele Eindrücke muss man auch eventuell einfach als nebensächlich bewusst beiseite lassen, denn es ist unmöglich und wahrscheinlich auch nicht förderlich, wirklich alles übersensibel aufzunehmen. Doch viele wesentliche Eindrücke bleiben oft flüchtig, unbewusst und unreflektiert, und es wäre wichtig, die aktive Anteilnahme an ihnen ganz bewusst zu steuern und auch aufzubauen. Bewusst wahrgenommene Eindrücke bleiben auch ganz anders im Gedächtnis, sie prägen sich klarer ein. Das bemerkt man schnell anhand der oben beschriebenen kleinen Übung. Bemüht man sich um eine aktive bewusste gedankliche Anteilnahme, so bemerkt man, dass man eine bestimmte Kraft aufbringen muss. Schwimmt man mit dem Strom der Eindrücke und Geschehnisse mit, braucht man diesen Krafteinsatz nicht. Beginnt man das Bewusstsein bewusst zu beteiligen und in eine Steuerung zu bringen, so benötigt es eine Art innere Aufrichtekraft, ein bewusstes Heraustreten aus den automatisierten Abläufen und ein gezieltes Gegenübertreten zur Außenwelt. Diese Kraft wird als Ich-Kraft (Begriff mehr aus westlicher Philosophie) oder Selbstkraft (Begriff aus dem Yoga) bezeichnet.

 

Dazu folgen gleich noch einige Beispiele. Vorher füge ich aber noch einen weiteren Gedanken aus dem Buch an, der die Wirkung für die Gesundheit ausdrückt: 

 

„Auf die Zellen bezogen bewirken vom Bewusstsein gelenkte und orientierte Sinneseindrücke eine organisierende, strukturierende und in der Funktionalität harmonisierende Zusammenarbeit. Die strukturbildenden und differenzierenden Kräfteeinflüsse können über die bewusst gelenkte Sinnestätigkeit die Zellen tatsächlich erreichen. Das bewusste Sinneserleben wirkt erhebend, öffnend, den Kosmos durch berührende Umweltwahrnehmungen erfahrend und das Nervensystem beruhigend.“

 

Einige Beispiele:

  • In der Natur beim Wandern oder Spazierengehen ist es noch am leichtesten, wirklich bewusst zu schauen und eventuell auch einmal stehen zu bleiben und sich ganz konkret verschiedene Aspekte bewusst zu machen, zB die Licht-Schatten-Verhältnisse, die Formen, Konturen, Strukturen, Stimmungen, Farben und Proportionen der Bäume oder Berge zueinander. Aber man muss es eben bewusst machen und wirklich gezielt umsetzen. Es ist nicht nur ein Schauen, sondern ein Hin-Schauen, d.h. man lenkt die Aufmerksamkeit und die Gedanken wirklich zu dem Naturphänomen oder Betrachtungsobjekt anteilnehmend hin, sodass sie in die reale Berührung hineintreten.
  • Oder wenn man beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit ist und sich in Gedanken schon ganz im kommenden Getriebe befindet, kann man sich durch einen klaren Vorsatz von dem „Alltags-Fahrwasser“ kurz herauslösen und auch die Natur oder das Wetter ein paar Augenblicke konkret und genau anschauen: wie ist zB der Nebel, der die Bäume einhüllt, und wie fühlt sich der Regen an, der eventuell auf die Haut fällt? Oder wenn man im Bus ist: Welche Menschen sind im Bus? Wie sehen sie aus?
  •   Beim Essen kann man die Aufmerksamkeit ganz gezielt auf das zubereitete Essen lenken mit seinen Farben und vor allem den Geschmack und Duft. Wie oft schlingt man aber zu schnell etwas hinunter, und wie intensiv kann man dagegen beispielsweise die Farbe, die schöne Gliederung und den fruchtig-frischen Geschmack von einer reifen Orange wahrnehmen? Es ist wissenschaftlich auch voll anerkannt, dass bewusstes Schmecken (und sogar Hinsehen) die Verdauungssäfte viel mehr anregt als hastiges Essen ohne bewusste Wahrnehmung. Darin sieht man ebenfalls die Wirkung der bewussten Sinneswahrnehmung bis hinein in die Stoffwechselvorgänge. 
  • Wenn man viele Fernsehsendungen hintereinander anschaut, verbunden mit Werbung und Nachrichten dazwischen, dann entsteht zwangsläufig eine nervliche Überforderung, denn diese vielen Eindrücke können gar nicht verarbeitet werden und bewirken auf die Dauer Konzentrationsmangel, Gedächtnisschwäche, Nervosität und nervliche Erschöpfung. Eine Sendung bewusst zu verfolgen und danach sogar noch einmal zu reflektieren und eventuell weiterzudenken, wäre eine produktive Art aktiv das Bewusstsein zu beteiligen und die Eindrücke eben mit Bewusstsein aufzunehmen. Nimmt man die eingangs beschriebene Vorstellung dazu, dass das Gehirn und die Stoffwechselorgane eine Art Reaktion und Antwort auf die Sinneseindrücke geben müssen, so stellt sich die Frage: Was bedeutet die unbewusste Sinnesüberladung für die Organe und die fein abgestimmten Stoffwechselvorgänge? Werden diese durch solch eine Sinnesüberflutung auf die Dauer nicht auch geschwächt?
  • In diesem Zusammenhang sind auch Medienmitteilungen ein Thema, vor allem jetzt, da zur Zeit unglaublich starke Nachrichtenwirkungen vorhanden sind. Nachrichten können einen sehr intensiv unbewusst manipulativen und suggestiven Charakter haben und in der Folge starke Polarisierungen bewirken, wenn sie nicht ausreichend bewusst reflektiert und gedanklich verarbeitet werden. Nachrichten mit ihren Aussagen hinterlassen ebenfalls über die Sinne einen tiefen Eindruck. Durch eine wahrnehmende Betrachtung kann man zu ihnen einen objektiven Abstand bewahren. Gerade bei Nachrichten gelingt das vermutlich eher selten. Man nimmt sie schnell zur Kenntnis und prägt sich schnell eine Meinung, ohne in den Kern ihrer Aussagen einzudringen. Das Wesen der Nachrichten liegt ja auch darin, dass in Kürze eine Meldung gemacht wird, oft verbunden mit einer meinungsbildenden Färbung und ohne wirklich objektive Information. Fast immer ist dabei auch nur ein Teilausschnitt dargestellt und die Meldung aus einem gesamten Zusammenhang herausgenommen. Auch sind oft Bezüge nicht oder nicht richtig hergestellt, sodass kein neutrales Bild zur Sache entstehen kann. Häufig sind gezielt Wörter benützt, die eine bestimmte Stimmung erzeugen sollen (zB Angst, Sorge, Kaufbedürfnis), und diese Stimmung bewirkt eine unbewusste Reaktion oder Meinung. Die Reaktion oder Meinung entsteht dabei aber nicht aus dem aufmerksamen bewussten Sinnes- und Denkvorgang, sondern aus dem fehlenden Sinnesvorgang.
  • Auf Yogaübungen bezogen kann man diesen Sinnesprozess auch sehr schön und belebend anwenden, indem man die Form der Übung oder die Form des Körpers in der Stellung, die Bewegung, die Erlebensform oder die Gliederung in der Stellung bewusst mit den Sinnen wahrnimmt und auch aus der Wahrnehmung steuert und ausformt. Beim Yogaüben ist es tatsächlich ein großer Unterschied, ob man sich mit seinen Sinnen aktiv und freudig beteiligt oder ob man seine Sinne sogar abdämpft. Beim sinnesaktiven Üben fühlt man sich nicht in das Körperinnere hinein, sondern bleibt mit der Aufmerksamkeit von außen auf die Sache schauend, man nimmt den Körper, die Formen, die Bewegungen etc. peripher wahr. Dies ist sehr gesundheitsfördernd. (siehe z.B. Yogaüben und Formerleben: https://www.yoga-berge-formen.net/formen/formerleben-in-der-yoga%C3%BCbung/

 

Zusammenfassend kann noch einmal festgehalten werden, dass bewusste, klare und geführte Sinnesvorgänge heilsam und harmonisierend bis hinein in den Stoffwechsel und bis in die feinen Vorgänge innerhalb der Zellen wirken.

 

An späterer Stelle im Buch wird auch noch dargelegt, wie der bewusste Sinnesvorgang ganz speziell auch auf die Lunge wirkt.


 

Das Atemsystem

 

Das Atemsystem liegt in der Mitte zwischen dem Sinnessystem und dem Verdauungssystem.

 

Der Atem wird nun im Zusammenhang mit dem Gefühlsleben betrachtet: Er ist nahe und inniglich mit dem Gefühlsleben verbunden. Er impulsiert, beeinflusst und steuert durch seine „wesenhafte  Wirklichkeit“ das Gemütsleben. 

 

Was diese wesenhafte Wirklichkeit ist, wird auch in vorhergehenden Kapiteln bereits einführend beschrieben. Es bedeutet unter anderem, dass wir Menschen mit der Luft nicht nur die Luft als feinen Stoff bzw. Gas einatmen, sondern auch die Stimmung, die in der Luft liegt. Einfach ausgedrückt vielleicht so wie die Redewendung ausdrückt: „Es liegt etwas in der Luft…“ In der Luft leben auch die Stimmungen, die durch die Gedanken, Gefühle und Handlungen von uns Menschen verursacht werden. Wer kennt es nicht, dass man in einen Raum kommt und sagt: Ohweh, da ist dicke Luft - weil man spürt, dass da eventuell gerade zwischenmenschliche Spannungen ausgetragen werden. Oder man spürt, dass ein Raum friedlich und ruhig erfüllt ist. Auch in der Natur kann man unweigerlich die besondere reine Stimmung wahrnehmen, die oft in Gegenden ist, wo keine Alltagshektik hineinkommt. Auch bei sich selbst spürt man unterschiedliche Stimmungen. Jeder hat verschiedene Gefühle, Emotionen, Gedanken und Antriebe, die er mit sich herumträgt und auch nach außen abgibt. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man Gedanken und Gefühle, nur weil man sie nicht mit den Augen sieht, nur bei sich oder in sich hat. Sie umkleiden uns Menschen und strahlen auch nach außen aus. Diese sogenannte wesenhafte Wirklichkeit liegt also bildlich gesprochen in der Luft und wird über die Atmung aufgenommen.

 

Nun muss man aber diesen Stimmungen nicht hilflos ausgeliefert sein. Durch das Bewusstsein und die Kraft zu denken und etwas aktiv zu gestalten, kann man natürlich auch aufbauende Kräfte abgeben, schwächenden Einflüssen etwas entgegensetzen und sich gewissermaßen kreativ, schöpferisch an der Gestaltung dieses Atemraumes beteiligen. 

 

So heißt es weiter, dass der Atem durch Schulung und Bewusstseinsprozesse einen freien und ausgleichenden Charakter entwickeln kann. Und man könne durch besondere Formen der Bewegung und der Aufmerksamkeit im Leben erfahren, wie man die Empfindungen strukturieren und gestalten kann. Dies kann man eben anhand dieser Übungspraxis mit Körper- und Yogaübungen lernen. Gewählte Gedanken und Sinnesempfindungen begleiten in der Übung den Atemprozess, „durchlichten die Luftsphäre und diese Licht-Luft strömt mit dem Blutweg an und in die Zelle.“ Stickstoff und Sauerstoff seien dabei nur Träger für feinere Entitäten.

 

Zwei Beispiele mit einfachen Bewegungen können dies vielleicht ein wenig verdeutlichen. Es gibt verschiedene Grundempfindungen, die man in den Yogaübungen erleben und entwickeln kann. Eine davon ist das Erleben der Weite, die dem 3. Energiezentrum („Sonnengeflecht“) entspricht, und eine andere ist die ruhige Sammlung, die dem 4. Chakra bzw. Herzzentrum entspricht:

 

1. Die Weite des Raumes

Für diese erste Bewegungsform stellt man sich vorerst das Sonnengeflecht vor, macht sich die Region der Flanken, Zwerchfell und Rückenmitte bewusst, welche das körperliche Zentrum der Übung bilden. Dann lenkt man die Aufmerksamkeit in den Raum, in dem man sich befindet, und macht sich bewusst, wie man von diesem Raum umgeben ist, wie dieser mit Luft erfüllt ist und wie sich dieser weit nach außen fortsetzt, eventuell wie er über die Wände des Raumes hinausgeht in die Natur bzw. Lufthülle der Erde, sogar in den Kosmos. Gleichzeitig kann man sich vorstellen, dass die Luft die Eigenschaft und Tendenz besitzt sich auszudehnen und den gesamten Raum zu erfüllen. Aus dieser Vorstellung und Empfindung zur räumlichen Weite und Ausdehnung formt man nun die Bewegung mit den Armen und Händen und auch mit dem restlichen Körper, wie hier dargestellt. Von etwa der Nähe des Sonnengeflechtes und der Flanken gleiten die Arme in die Ausdehnung, so wie die Luft, die sich aus sich selbst schwerelos ausdehnt und den Raum erfüllt. Diese Bewegung kann man unterschiedlich variieren und sie eventuell auch in die Beine fortsetzen. Auch der Rücken dehnt sich auf natürlich leichte Weise aus und richtet sich mehr auf. 

Das Besondere dabei ist, dass sich aus der Bewusstheit für die Weite des Raumes heraus die Bewegung im Sonnengeflecht zentriert und sich von dort schließlich in die Weite ausdehnt. Aus der Vorstellung der Weite folgt eine Sammlung im Sonnengeflecht und aus dieser folgt wie eine Antwort auf die äußere Weite die Ausdehnung der Bewegung. Die Bewegung wird wie angezogen aus dem Raum in die Weite.

 

Mit spielerisch leichten Wiederholungen und Variationen kann man die Bewegungen auch weiterentwickeln zu klassischen Yogaübungen wie Schwalbe oder Waage bzw. wie hier die seitliche Waage, und dann mit einfachen Flankendehnungen den kleinen Zyklus beenden.

 


Nun kann man diese Vorstellung inhaltlich erweitern und weiterdenken, indem man sie auf die seelische Seite analog bezieht. Mit dieser Bewegung kann man sich vorstellen, dass in unserem Bewusstsein oder in der Seele das Grundbedürfnis nach Weite und Ausdehnung lebt. Wie ein existenzielles, fest angelegtes Bedürfnis lebt in der Seele der Drang, sich ausdehnen und weiten zu können. Was kann das bedeuten? Eigentlich ist es leicht nachvollziehbar, dass dieses Bedürfnis nach Ausdehnung darin lebt, sich mit Interessen, Anteilnahme, Empathie zum Leben nach außen, zu anderen Menschen, zu anderen Lebewesen, zu Naturerscheinungen und Themen oder Lebenszusammenhängen hinzubewegen. Man will nicht bei sich in der eigenen Enge stagnierend stehenbleiben, sondern von sich wegkommen, Beziehungen knüpfen, neue Horizonte erschließen und sich weiterentwickeln und die Dinge nicht nur an der Oberfläche schnell streifen, sondern sie in ihrer Tiefe kennenlernen. Dies ist eine gesunde und gesundheitsfördernde Bewegung. Wird man diesem Grundbedürfnis nicht gerecht, zB aus Ängsten, Konventionen, falschem Autoritätsglauben und sonstigen erzieherischen Prägungen, kommt es meist zu Kompensationen oder Traurigkeit und Depression.

 

Es kann auch die Fähigkeit bedeuten, den eigenen Standpunkt - ohne ihn aufzugeben - zu verlassen und mit der Sichtweise eines anderen auf eine Sache zu schauen. Dadurch entsteht trotz eventueller Meinungsverschiedenheiten eine Verbindung. Ohne diese standpunkt-verlassende Bewegung entsteht Polarisierung, Verhärtung der Standpunkte und sogar Polemik.

 

Bei dieser Übung zur Weite entfaltet sich ein sehr leichtes, bewegtes, befreiendes, belebendes Empfinden, und der Atem wird sehr fein, aber intensiv in einem leichten, weiten, befreienden und fülligen Fluss angeregt.

Diese Qualität des Atems wirkt regenerativ und aufbauend auf die Stoffwechselorgane und des Weiteren auf die Versorgung der Wirbelsäule.

 

2. Die Mitte des Herzens mit Ruhe und Sammlung

 

Diese zweite Übung hat ihr Zentrum in der Herzregion. Als Hilfe für die Charakteristik dieser Form kann man sich ganz einfach einen Kreis mit seinem exakten Mittelpunkt vorstellen. Man kann eingangs auch mit den Armen diesen weiten Kreis in die Luft zeichnen, sich dabei diesen mit seinem Mittelpunkt im Herzen vorstellen.

 

Dann folgt die Geste der Hände: Sie sind noch außen in der Umkreisform und von dort führt man sie nun von außen nach innen auf Herzhöhe zusammen, sodass sich die Handflächen berühren. 

Ganz bewusst macht man nicht nur eine „leere“ Armbewegung, sondern wie eine Geste drückt man den Inhalt aus: Es gibt einen Umkreis und ein Zentrum. Das Zentrum formt sich von außen vom Umkreis nach innen zum Mittelpunkt. Man stellt sich diesen Inhalt vor und drückt ihn mehrmals wiederholt denkend und empfindend durch die Gestik der Arme und Hände aus. Man bemerkt dabei, dass diese Bewegungsform eine beruhigende, harmonisierende und sammelnde Wirkung hinterlässt.

 

Beim Baum und der Zehenspitzenstellung, zwei Übungen aus dem Yoga, ist diese Gestik ebenfalls vorhanden und verstärkt sich im Ausdruck und Erleben durch das Hinzukommen des Gleichgewichtes. Beim Baum steht man auf einem Bein, bei der Zehenspitzenstellung auf den Zehenspitzen und muss sich durch die Anforderung des Balance selbst mehr sammeln und in der Aufmerksamkeit zentrieren.


 

Wieder kann man die Vorstellung weiter entwickeln und denken, dass der Umkreis die äußeren Lebensumstände und Beziehungsverhältnisse, in denen man lebt und in die man hineingestellt ist, symbolisiert. Man lebt in diesem Umkreis und bewahrt innerhalb von diesem doch seine eigene individuelle Position, seinen eigenen individuellen Standpunkt oder Wesenskern. Diese beiden - Umkreis und Zentrum - stehen im Zusammenhang, bedingen sich gegenseitig und wirken aufeinander wechselseitig ein. Das Herz ist das ausgleichende Organ, das sich weder im äußeren Umkreis verliert, noch sich im eigenen Inneren zurückzieht. Es verausgabt sich nicht auf Kosten des eigenen Inneren nach außen und gleichzeitig gibt es seinen sozialen Zusammenhang nicht auf für die eigene Innenwelt. Es bleibt in Wahrnehmung und gestaltender Teilnahme an beiden „Orten“. Diese Art Aktivität braucht eine besondere Kraft, die dem Herzen im analogen seelischen Sinn zugeordnet ist. (Vgl. Kapitel zum Herzzentrum, anahata-cakra, im Buch "Die Seelendimension des Yoga", Heinz Grill)

 

Ruhe, Sammlung, Ausgleich, Ordnung und eine Art Wärme sind die Empfindungen, die mit dieser Übung entstehen können und sich auf die Atmung übertragen. Geht man von der Beschreibung aus, dass sich die „wesenhafte Wirklichkeit“ mit der Atmung über den Blutweg bis zur Zelle weiterträgt, so kann man sich auch leicht vorstellen, dass sehr aufbauende feine Wirkungen damit auch für die Gesundheit verbunden sind.

 

Hier kann ich vielleicht kurz folgende Bemerkung einfügen: Für diese Arbeit braucht man einen gewissen Mut und Freiheit von Dogmen und auch den eigenen Meinungen. Man gibt sich einfach einmal neutral und unvoreingenommen diesen Bildern hin und bemerkt mit der Zeit schon selbst, was vielleicht stimmt oder nicht stimmt. Wenn man demgegenüber recht kritisch ist oder gar nichts damit anfangen kann, so kann man sich einräumen, dass man eventuell auch oft erst später und in ganz anderen Situationen die Richtigkeit von solchen Zusammenhängen entdeckt.

 

Schließlich wird im Buch über den freien Atem noch die interessante Unterscheidung gebracht, dass diese inhaltliche gedankliche Arbeit nicht mit dem sogenannten positiven Denken zu verwechseln ist. Es geht nicht darum positiv oder optimistisch statt negativ oder pessimistisch zu denken, sondern durch das Denken Inhalte zu gestalten und weiterzuentwickeln, sie zu „plastizieren“. Vielleicht kann man es so beschreiben, dass der Gedanke wie eine Skulptur herausgeformt und plastiziert wird, bis der Themenzusammenhang klar und mit vielen Blickwinkeln und Aspekten als Form dasteht. Diese Aktivität formt und gestaltet das Bewusstsein und erzeugt dadurch Bildeprozesse, die bis in die Eiweißaufbauvorgänge durchformend weiterwirken. Beim positiven Denken wird das Bewusstsein nur gefärbt, aber nicht gestaltet. Es heißt dann, dass „eine Beziehung besteht zwischen der Proteinsynthese und der mentalen Fähigkeit, in konkreten Gedanken eine Konzentration länger zu halten, denn diese mentale, klare Aktivität bleibt nicht nur im sogenannten Intellekt, sondern sie wirkt strukturbildend und organisierend auf das ganze leibliche Geschehen.“


Das Verdauungssystem

 

Das Verdauungssystem ist ja ein höchst komplexes System. Liest man in einem Anatomiebuch einmal ein wenig darüber nach, so kann man schnell beeindruckt staunen über diese vielschichtigen und weise arbeitenden Stoffwechselvorgänge. In dem hier bearbeiteten Kapitel aus dem Buch über den freien Atem werden nicht die gesamten komplizierten Vorgänge beleuchtet, sondern nur zwei wesentliche Aussagen herausgestellt, da diese auch besser verständlich machen, warum das Sinnessystem und das Atemsystem gemeinsam mit dem Verdauungssystem eine Ernährungsfunktion innehaben.

 

Die allgemeine Kernaussage ist, dass die drei Systeme, Sinne, Atem und Verdauung bzw. Ernährungsgewohnheiten, auf die Steuerung des Stoffwechsels wirken und in ihrem Zusammenwirken für die Bildung und Bereitstellung des menschlichen Einweißes verantwortlich sind.

 

Die Arbeit der Verdauung besteht nun darin, die aufgenommene Nahrung vollständig abzubauen und neu zu einer körpereigenen Substanz aufzubauen. Dabei ist das Besondere, dass die fremde Substanz, die von außen kommt, nicht unmittelbar so wie sie ist vom Organismus aufgenommen werden kann. Jeder externe Stoff muss seine fremde Natur und Vitalität verlieren, um in das individuelle Gefüge des Körpers eintreten zu können. Diese Feststellung findet man auch in Ausführungen von Rudolf Steiner und Literatur von Ärzten wie Rudolf Hauschka und Otto Wolf.

 

Das bedeutet, dass es nicht so zu sein scheint, dass ein fremder Nahrungsstoff wie ein Apfel, Brot oder Käse in seine Teilchen aufgelöst und wieder neu zusammengesetzt wird, sondern dass sie vollständig aufgelöst werden, bis alles Fremde weg ist, um dann als Grundlage für den neuen Aufbau dienen zu können. Es ist ein wenig schwer vorstellbar, da man ja geprägt ist, nur in materiellen Formen zu denken. (siehe auch Rudolf Hauschka zum Verdauungsvorgang)

 

Es heißt dazu noch weiter, dass alle Stoffe im Dünndarm das Immunsystem passieren: Im Dünndarm befindet sich das Lymphsystem, das alle Stoffe auf ihre Fremdheit untersucht und sie abwehrt, wenn sie noch nicht ausreichend zerlegt und auf einen „vollständigen Nullpunkt“ geführt sind. Dieser Vorgang unterliegt dem parasympathischen Nervensystem, welches durch ruhige Übungen, gelöste Entspannung und freie, tiefe Atmung festigen lassen.

 

So wie die von außen aufgenommenen Nahrungsstoffe vollständig zerlegt, auf ihre Fremdheit untersucht und zum Nullpunkt geführt werden, um neue Körpersubstanz aufbauen zu können, so müssen auch die über die Sinne und den Atem aufgenommenen feineren Eindrücke innerlich verarbeitet und zu einem individuellen Anteil in der Seele verwandelt und integriert werden. „Die vier Hauptorgane Leber, Niere, Lunge und Herz verarbeiten die aus der Außenwelt kommenden grobstofflichen und feinstofflichen Substanzen und gestalten sie zu Proteinen, den erstrangigen Bausteinen der eigenen Körperindividualität.“


Weit reichende  Zusammenhänge 

Sinne, Atem, Verdauung - dass diese 3 System einerseits für sich stehen und doch intensiv zusammenarbeiten, wird mit der Auseinandersetzung deutlich. So beginnt die Verdauung nicht erst, wenn sich das Essen im Mund befindet und dort zerkleinert wird, sondern schon vorher beim bewussten Sehen, Riechen und Schmecken, also mit den Sinneswahrnehmungen. Und das Atmen ist nicht nur das Hineinnehmen der Luft in die Lungen, sondern hängt stark mit den Sinneswahrnehmungen sowie Gemütsstimmungen und Gefühlen zusammen. Sie setzt sich außerdem mit ihrer Bewegung Richtung Verdauungsorgane fort, indem sich das Zwerchfell ständig mit dem Ein- und Ausatmen hebt und senkt und dieses damit auch mechanisch und rhythmisierend auf die Stoffwechselorgane einwirkt.

 

Die Verdauungsvorgänge laufen natürlicherweise autonom und unbewusst ab. Der Atem ist schon ein wenig bewusster und die Sinneseindrücke können sehr intensiv mit dem Bewusstsein erfasst werden. Das Bewusstsein unterliegt der individuellen Steuerung bzw. kann durch Entscheidung gezielter eingesetzt werden. Mit dem Bewusstsein ist es möglich, gegenwärtig Anteil zu nehmen und auch die verschiedenen Umstände zu gestalten und in gewünschte Formen zu bringen. 

 

Auf den Atem bezogen heißt es nicht, dauernd bewusst zu atmen und den Rhythmus oder die Qualität des Atems zu steuern, sondern wie beschrieben, durch bewussten Gedankenaufbau und inhaltliche Beteiligung die „Luftqualität“ zu gestalten und damit indirekt harmonisierend auf die weiteren Vorgänge bis hin zum Eiweißaufbau zu wirken.  Wie oben beschrieben wirkt auch die freie, tiefe Atmung festigend auf die parasympathischen Nerven, welche die Stoffumwandlungsprozesse steuern.

 

Auf die Sinne bezogen bedeutet es, sich nicht nur flüchtig von einem Eindruck zum nächsten treiben zu lassen, sondern die Sinneswahrnehmungen bewusst zu führen, was sich nach den genannten Beschreibungen strukturierend und organisierend bis hinein in die Zellen und zu den wichtigen Organen, vor allem Leber, Nieren, Lunge und Herz, fortsetzt.

 

Wie groß der Zusammenhang ist vom Bewusstsein und den physiologischen Abläufen bis hin zum Aufbau des Basisbaustoffes Eiweiß, der wiederum im Zusammenhang mit der menschlichen individuellen „Ich-Kraft“ gesehen wird, kann man sich beim Nachdenken, Überlegen und Lesen in ersten Ansätzen vorzustellen beginnen. Dadurch verändert sich auch zunehmend das Verständnis über Gesundheit und Krankheit und erweitert sich von der auf die Stoffe begrenzte Sicht zum Erahnen von tatsächlich existenten seelischen und geistigen Zusammenhängen, die - wie viele Forscher und Fachpersonen auf diesem Gebiet schon herausgearbeitet haben - auf einem ebenso fundierten und logischen wissenschaftlich Boden stehen kann wie die materielle Forschung.